Lehrauftrag mit Erfolg

... oder wie ich lernte "Aha-Erlebnisse" zu zählen.
Anfang der letzten Woche erhielt ich einen Anruf, ob ich nicht Lust hätte einen 20-jährigen Bayern in die Welt des Rallyesports einzuführen. Markus Hackenberg aus Steinhöring ist noch nie zuvor in seinem Leben mit einem Beifahrer gefahren, hat noch nie eigenverantwortlich einen Aufschrieb erstellt und auch sonst keinerlei Erfahrung im Alltagsprozedere einer Rallyeveranstaltung. Ursprünglich aus dem Kartsport kommend und eine Art Ziehsohn des mehrmaligen Deutschen Meisters und Beifahrers Siggi Schrankl, hatte es jedoch im Vorfeld den Anschein, als ob er ein gewisses Talent für den Rallyesport mitbringen würde. Und so sollte seine erste grosse Veranstaltung die 51. Rallye Wartburg in Eisenach sein. Das Auto; ein angemieteter Suzuki Swift Sport. Der Beifahrer; ich - da Siggi Schrankl verletzungsbedingt ausgefallen ist.

Mein Gefühl sagte mir im Vorfeld, dass dies seit langer Zeit eine etwas andere Rallye für mich werden wird. Zum einen wegen der steten Ungewissheit und des fehlenden Vertrauens sich neben jemanden zu setzen, den man praktisch nicht kennt. Zudem noch bei einer so anspruchsvollen Veranstaltung wie der Rallye Wartburg. Zum anderen weil dem Copiloten im Anlernen eines Neulings viele zusätzliche Aufgaben und Verantwortung übertragen werden, die in einem eingespielten und erfahrenen Team geteilt werden und klar definiert sind. Es war mir von vornherein klar, dass dies diesmal nicht der Fall sein wird. Und so ging es eigentlich nur darum die Anzahl der "Aha-Erlebnisse" so gering wie möglich zu halten. Nach meiner Rechnung gab es davon lediglich 5.

#1: Man konnte schon beim Training der Wertungsprüfungen (WP) erkennen, dass die Fahrzeuge, die vor uns über die Strecken fuhren durch konsequentes "cutten" der Kurven sehr viel Dreck auf die Strasse bringen würden. Wenn man dies nicht in irgendeiner Art und Weise beachtet und im Aufschrieb vermerkt, kann es dort sehr gefährlich werden. Und obwohl ich im Aufschrieb eine Recht 3 in Links 3 Kombination mir einem "rollt" versah, tappten wir in diese Falle, rutschten untersteuernd in die linke Grasnarbe direkt auf einen Strommast zu und mit übersteuerndem Heck in die anschliessende Links - ebenfalls nicht auf der Straße, wie ursprünglich vorgesehen. Markus hat diese Situation aber sehr gut gemeistert, während ich mich kurzzeitig schon mit dem Gedanken anfreundete dem Strommast in der Mittelkonsole "Guten Tag" zu sagen.

#2: Zeitkontrolle (ZK) Serviceausfahrt am Sonntag Morgen. Wir standen am gelben Schild, das die ZK ankündigt. Markus dreht sich kurz nach hinten und in dem Moment dämmerte es uns gleichzeitig: Die Helme! - Die lagen über Nacht im Servicefahrzeug und wurden am Morgenservice schlichtweg vergessen. Nach der ZK rannte ich schnell zurück zum Service, holte die Helme während Markus kurz hinter der ZK auf mich wartete. Das hätte böse ins Auge gehen können. Von der ersparten Peinlichkeit ganz zu schweigen.

#3: Der Suzuki besitzt eine Einschweisszelle, die im Bereich hinter den Sitzen über ein Doppelkreuz verfügt. Die Helme liegen in einem Netz zwischen diesen beiden Kreuzen, an dass man nur über die Heckklappe Zugang erhält. Will man sich seinen Helm nun aufsetzen, muss man zuerst aus dem Fahrzeug aussteigen, die Schnellverschlüsse der Heckklappe öffnen, die Helme heraus nehmen und die bereits erwähnten Schnellverschlüsse wieder schliessen. Ich denke es ist klar was passiert, wenn man den letzten Punkt in diesem Arbeitsablauf vergisst... Es fiel uns erst auf als wir nach dem Ziel der WP unsere Helme wieder verstauen wollten, und eine geöffnete Heckklappe vorfanden, die während der WP ein augenscheinliches Eigenleben führte.

#4: Notausgänge sind da, um sie im Notfall zu benutzen. Auch wenn sie manchmal nicht als solche zu identifizieren sind. Der Zeitverlust beim zu späten Anbremsen einer "Links 3 rollt" waren lediglich 7 Sekunden. Ein Baum oder Graben hätte an dieser Stelle aber nicht nicht sein dürfen.

#5: Wenn man vor der letzten WP mit über 3 Minuten Vorsprung in Führung liegt, dann sagt einem eigentlich der gesunde Rallyeverstand, wir schaukeln das Ding nach Hause und minimieren das Risiko damit das Auto auf keinen Fall Schaden nimmt. Wenn man allerdings einem vorausfahrenden Fahrzeug ins Heck fährt, um ihm zu signalisieren dass man vorbei will und anschliessend noch immer aufgebracht und ungezügelt über einen hohen Bordstein fährt, dann muss derjenige noch viel über den Rallysport lernen.

Aber dafür waren wir ja da. Um Erfahrung zu sammeln. Und die sind, was das fahrerische Potential von Markus betrifft, als durchaus positiv zu bewerten. Seine Zeiten steigerten sich zusehends. So war er zum Beispiel in der Nachtetappe gerade einmal 3-6 Sekunden langsamer als bei Tageslicht, konnte am Sonntag erste klare Bestzeiten setzen und sich im Gesamtklassement stetig nach vorne arbeiten. Am Ende gewannen wir bei unserer Premiere die Klasse N2 und belegten den 27. Gesamtplatz.