War mal wieder alles dabei
Nick Heilborn und seinen BMW traf ich das erste Mal im Rahmen der Osterburgrallye 2015. Damals war es erst sein zweiter Einsatz überhaupt gewesen und er fiel vor allem durch seine spektakuläre denn schnelle Fahrweise auf. Innerhalb von zwei Jahren änderte sich dies. Aus dem Grundsatzmotto “Nur quer biste wer” wurde “Manchmal quer biste mehr”. 3 Titel im Rahmen der ADMV Meisterschaften 2017 sollten ihm recht geben.
Nick ist ein selfmade Rallyefahrer vom alten Schlag und mit einer naturgegebenen Fahrzeugbeherrschung beseelt. Ob Asphalt, Sonne, Schotter, Regen, Dunkelheit. Er mag alles. Hauptsache Heckantrieb und improvisieren. Nicht familiär und beruflich vorbelastet, gehört er zu den klassischen Quereinsteigern und musste sich alles zu der komplexen Rallyethemanik selbst erarbeiten. Von der Fahrzeugtechnik bis zum Reglement, von der Finanzierung bis zur Einsatzplanung. All das machte er lange Zeit in Personalunion. Beeindruckend ist dabei seine Besessenheit Dinge zu er- und hinterfragen, nicht nachzulassen, gut zuzuhören und alle Informationen aus der Szene aufzusaugen wie ein Schwamm. Mitunter zerlöcherte er auch mich bei so mancher Veranstaltung…
Ich zögerte nicht lange, als er für die Havellandrallye 2018 einen Beifahrer brauchte, seinen Mut fasste und bei mir anfragte. Im Vorfeld erzählte ich ihm nicht, dass meine Erfahrung in einem heckangetriebenen Rallye KFZ bei 0.86% lag und so war ich selbst auch gespannt, wie viele Fliegen ihr Leben wohl an den Seitenscheiben lassen würden und wie sich das Ganze für mich gefühlstechnisch bei meiner Heimveranstaltung darstellt.
Die Wertungsprüfungen (WPs) rund um die Spargelhochburg Beelitz bestehen zur Hälfte aus Plattenwegen und feinem Sand und sind subjektiv eingeschätzt von Jahr zu Jahr in einem schlechteren Zustand und damit gleichzeitig für Mensch und Technik herausfordernder. Im Übrigen genauso wie der Zeitplan beim Abfahren. Hier sollte der Veranstalter generell etwas nachbessern.
Pech hatten wir bereits auf der ersten von sieben WPs. Nach der dritten echten Kurve, entsendete unser Lampenbaum ein undankbares: “Tschüssikowski”. Und ich meine nicht das Licht das er im Vollbetrieb abstrahlt, sondern den Lampenbaum in seiner Gänze riss es aus der Halterung an der Motorhaube und verabschiedete sich in Richtung flämische Sander. Nick war danach etwas unkonzentriert. Überraschenderweise sollte es dennoch für eine Klassenbestzeit reichen. Sorgenfalten machte uns nur das fehlende Zusatzlicht, das wir hundertprozentig auf der letzten WP des Tages in kompletter Dunkelheit benötigen würden. Und bei den Zeitabständen zu unserer Konkurrenz könnte dieser Umstand tatsächlich am Ende von entscheidender Bedeutung sein.
Vor der zweiten WP kam es zu einer zeitlichen Verzögerung von 15 Minuten. Ich nutzte die Zeit und organisierte über diverse Umwege den Rücktransport des Lampenbaums aus der Walachei zum Start an WP4 des übernächsten Durchlaufes. Wir büßten inzwischen unsere Führung ein und lagen an zweiter Stelle - 4.5 Sekunden hinter dem Volvo Team Rodewald/Eichenauer und 5.3 Sekunden vor unseren BMW M3 Markenkollegen Klein/Kaiser.
Ich wies Nick an, die Verbindungstappe zum Start der WP4, etwas zügiger zu fahren, damit wir genügend Zeit hatten um den Lampenbaum (Randnotiz I: Ich hatte keine Ahnung, ob er da sein würde) im Kofferraum sicher zu verstauen. Während Nick alles vorbereitete, rannte ich Richtung Startlinie und WP-Leiter. Dieser winkte nur kurz zu einem Pfahl am Zaun und übergab mir das verlorene Stück Fracht. Es folgte eine weitere Bestzeit und der Angriff auf die Spitze für die zweite Schleife wurde eingeleitet. Neuer Rückstand auf Rodewald: 3.1 Sekunden.
Auch auf der WP “Alt Bork” lief es sehr gut für uns. Bis wir kurz vor dem Ziel auf den vor uns fahrenden Volvo von Werner Lösecke aufliefen und in dessen Staubwolke feststeckten. Auf einer langen Geraden zum Ziel verpassten wir schließlich den Anbremspunkt für eine Schikane und konnten die Geschwindigkeit nicht genügend reduzieren um sie zu durchfahren. Die Stimmung war danach im Keller, denn wir beide wußten, dass dies eine 30 Sekunden Zeitstrafe nach sich ziehen würde und wir damit jede Chance auf den Sieg verspielten.
Glück im Unglück. Die bis dato führenden Rodewald/Eichenauer fielen auf eben dieser WP mit technischen Defekt aus und brachte uns unverhofft die erneute Führung ein. Wir hatten nun einen Vorsprung von 30.3 Sekunden auf Klein/Kaiser. Zogen wir 30 Strafsekunden ab, blieben 0.3 Sekunden übrig. Alles noch offen für den finalen Showdown im Dunkeln.
Wir testeten, montierten und fixierten den Lampenbaum mit Kabelbindern und Panzertape in allerbester MacGyver Manier und wußten: jetzt muss alles passen. Stille, Konzentration, Ente oder Trente. Wir fuhren die WP lediglich 7 Sekunden langsamer als im Hellen, würgten dabei sogar noch in der bereits oben erwähnten Schicksalsschikane den Motor ab und konnten schlußendlich einen Vorsprung von 47 Sekunden herausfahren. Ob 30 Strafsekunden oder nicht, spielte nun keine Rolle mehr. Der Klassensieg und 6. Gesamtplatz war uns damit nicht mehr zu nehmen und wir feierten einen kleinen aber feinen Erfolg bei unserer Rückkehr zu den Jacobshöfen.
Wir philosophierten noch die ganze Nacht über den Rallyesport an sich und waren fasziniert von der Tatsache, wie schnell eine spontane Zweckgemeinschaft zu einem vertrauenswürdigen Verhältnis werden kann, bei man das Gefühl hat, als hätte man schon viele gemeinsame Jahre nebeneinander in den Knochen. Das war auch für mich eine spezielle Erfahrung (Randnotiz II: neben einem Muskelkater im Allerwertesten).
Bildquelle: Klaus Richter